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2016/2017 / November Dezember Januar /

www.miteinander-aktivesleben.de

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miteinander

Aktives Leben im Alter gGmbH

T i t e l t h e m a

Gehört das Sterben auch mit zur eigenen Lebens-

biografie?

RIEKE: Mit meinem Tod beende ich mich. Mit

meinem Tod beende ich meine Biografie. Man

wünscht sich, dass dies ein guter Abschluss ist.

Ein guter Abschluss?Was verstehen Sie darunter?

RIEKE:

(schmunzelt)

Man sieht sich natürlich

immer gerne in einem guten Licht, auch ohne Ei-

telkeit. Man möchte in den Augen anderer etwas

gelten, gegebenenfalls auch als erfolgreich dastehen

– selbst im Rentenalter. Man will zudem die ein-

mal erworbene soziale Stellung aufrechterhalten.

Ist es nicht schade, wenn die Selbstwertschätzung

von der Wertschätzung anderer abhängig ist?

RIEKE: Es hängt davon ab: In meinem Beruf als

Arzt erfährt man beispielsweise sehr viel Bestäti-

gung, in anderen Tätigkeiten weniger. Wichtig ist

dabei folgendes: Die Kopplung zwischen der be-

ruflichen Tätigkeit und der sozialen Anerkennung

ist durchaus eine gute Sache.

Respekt anderer macht

einen stärker

. Negativ durch andere beurteilt zu

werden, in welcher Form auch immer, kann der ei-

genen Seele schaden. Wertschätzung im besten

Sinne des Wortes, ob bei der Arbeit, in der Familie

oder im Freundeskreis, ist ein wichtiges Konstitutiv

für die eigene Zufriedenheit.

Wieso heißt Biografiearbeit eigentlich Arbeit?

RIEKE:

Arbeit

ist dieser komplexe Vorgang des-

halb, weil es eine strukturierte Form der Auseinan-

dersetzung mit dem Gegenüber ist und auch sein

soll: Es gibt Spielregeln, die man berücksichtigen

muss. Es gibt Grenzen des Fragens. Eine Intimität

des anderen, die gewahrt werden muss. Wenn Sie

Menschen an Vergangenes erinnern, können ver-

borgene Ängste aufbrechen. Man kann zudem zu

oberflächlich, zu forsch, zu bohrend, zu verletzend

fragen.

Können Sie ein Beispiel geben?

RIEKE: Nehmen wir

die Scham

. Scham spielt bei

der Pflege eine bedeutende Rolle. Man sollte dem

anderen das Schamgefühl nicht nehmen, auch

wenn man als Gepflegter Dinge zulassen muss, die

man früher nie hätte zulassen wollen. Diese Spiel-

regeln müssen Pflegende kennen und verinnerli-

chen. Und wenn man Empathie hat für sein

Gegenüber durch die Erkenntnis, hier eine reiche

Lebenspersönlichkeit vor sich zu haben, dann kann

man diese Regeln besser nachvollziehen und in der

Pflegpraxis umsetzen. Biografiearbeit als struktu-

rierter Prozess mit bestimmten Regeln erreicht

genau das.

Welche methodischen Ansätze gibt es überhaupt

bei der Biografiearbeit?

RIEKE: Wichtig ist, sich einen Überblick über

normative Ereignisse

zu verschaffen. Dadurch kann

die Entwicklung des alten Menschen besser ver-

standen werden. Wo hat er gelebt, ist er ein typi-

scher Stadtmensch oder auf dem Land groß

geworden? Ist er eine Partnerschaft eingegangen?

Da können aber auch problematische Themen

zum Vorschein kommen, oder?

RIEKE: Sie haben Recht. Was bedeutet es, einen

Partner zu verlieren, was verändert sich im Alltag?

Was bedeutet es, als alter Mensch zu den Kindern

zurückzukehren? Was, sich mit dem Ende des Le-

bens auseinanderzusetzen? Viele sprechen gerne

über auch solche schwierige Themen und heikle

Ereignisse, manche nicht. Man sollte es in jedem

Fall versuchen, solche Ereignisse und damit zu-

sammenhängende Themen anzusprechen, auch

wenn sich jemand zuerst dagegen sträubt. Dies

halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe.Was aber

dazugehört, ist:

Vertrauen

! Die Biografiearbeit ist

dabei wesentlich: Sich in die Welt des andern ein-

zuleben, ist nicht nur eine spannende Aufgabe, es

entsteht auch Vertrauen – auf beiden Seiten.

Pflegekräfte sollen heikleThemen ansprechen?