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2016/2017 / November Dezember Januar /

www.miteinander-aktivesleben.de

V

or vielen Jahren besuchte ich

eine alte Frau im Kranken-

haus. Das Krankenhaus war

der Auffassung, sie könne nicht mehr

in ihre Wohnung zurück, sondern

müsse in ein Heim. Die Frau war blind

und lebte allein. Ich sprach mit ihr. Sie

meinte, in ihrer Wohnung komme sie

trotz ihrer Blindheit gut zurecht. In

einem Heim werde das nicht so sein.

Am Ende des Gesprächs sagte ich zu

ihr, gut, dann gehen Sie nach Hause, in

zwei Tagen komme ich zu Ihnen und dann wer-

den wir schon sehen, was geht und was nicht.

Zwei Tage später traf ich die Betroffene in einer

gut geordneten Wohnung an, in der sie sich tat-

sächlich sicher bewegte. Sie führte mich auf ihren

großen Balkon und erklärte mir, jeden Abend

gehe sie zwei Mal rund um diesen Balkon. Das

sei ihr Abendspaziergang. Sie hatte an diesem

Tag Geburtstag und ich nahm ihr Angebot an,

mit ihr zusammen einen Piccolo zu trinken.

Als ich mich verabschiedete hatte ich den Ein-

druck, dass sie es in ihrer Wohnung schaffen wird

und so war es wohl auch. Ich habe nichts mehr

von ihr gehört. Und ich hatte dazu beitragen dür-

fen, dass sie in der Wohnung bleiben konnte.

Zwangsbehandlung genehmigen?

Der zweite Fall liegt nur wenige Jahre zurück. Er

betraf eine jüngere Frau, die ganz erheblich geis-

tig behindert war und unter anderem nur sehr

schwer verständlich sprach. Sie war Diabetikerin,

und es war eine Vorderfußamputation erforder-

lich. Da sie diesen Eingriff verweigerte, sollte ich

eine Zwangsbehandlung genehmigen. Ich sprach

der Frau gut zu. Dabei gelang es mir, sie zu errei-

chen und am Schluss war sie mit der Operation

einverstanden. Sie bestärkte dieses Einverständ-

nis mit einem Händedruck.

Aber die Sache ging noch weiter. Einige Monate

später war eine Augen-OP erforderlich. Wieder

war die Betroffene dagegen. Ich sprach etwa eine

halbe Stunde mit ihr, die Betreuerin und die Mit-

arbeiterin der Einrichtung, in der sie tagsüber

versorgt wurde, waren dabei. Ich erklärte ihr die

R a t g e b e r R e c h t

E x t e r n e

Lichtblicke

trotz

Elend

und

Hilflosigkeit

Berufspraxis

Wenn er dann geht, lässt er die Angehörigen,

die Pflegenden, zurück. Diese tragen die eigent-

liche Last, nicht der Betreuungsrichter. Ich bin

dann oft tief beeindruckt, wie die Zurückblei-

benden sich dieser Aufgabe stellen, wie sie den

Mut nicht verlieren, wie sie auch bei schwer

Pflegebedürftigen kleine Lichtblicke erleben.

Mir bleibt nur der Wunsch, dass meine Arbeit

und die des Betreuungsgerichts ihren Einsatz

nicht zusätzlich belasten, sondern imGegenteil

ihnen und den Betreuten zur Hilfe und zur Un-

terstützung werden.Manchmal darf ich die Er-

füllung dieses Wunsches erleben.

Der Betreuungsrichter sieht viel

Elend, erlebt viel Hilflosigkeit und

dabei ist er doch jeweils nur kurze

Zeit „vor Ort“.